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Das Monster danach

Die neue, alte Volkskrankheit ME/CFS: Was sie mit uns macht, warum sie so viele Covid-Genesene trifft, und was wir tun können

Erschienen am 18.05.2022
18,90 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783985953356
Sprache: Deutsch
Umfang: 204 S.
Format (T/L/B): 0.9 x 21 x 14.8 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Millionen Menschen weltweit leiden an ME/CFS, dem Chronischen Fatigue Syndrom. Sehr viele in Folge einer Covid-Infektion, dem Post Covid Syndrom. Über 60% sind nicht mehr arbeitsfähig. Dennoch sind die Betroffenen meist auf sich allein gestellt, da ME/CFS bei Ärzten weitgehend unbekannt und wegen der vielfältigen Symptome schwer zu greifen ist. Familienmitglieder und Freunde tun sich oft schwer mit der Erkrankung, die sehr viele Gesichter hat und die Betroffenen aus dem Leben reißt - obwohl sie gar nicht krank aussehen. Das Buch erklärt ME/CFS verständlich und ist ein Handbuch für Betroffene und ihre Angehörigen, um mit der Krankheit umzugehen. Es vermittelt das notwendige Basiswissen für Gespräche mit Ärzten, behandelt auch soziale Fragen wie die Anerkennung einer Behinderung, Reha und Rente. Es ist aber auch ein leichter Einstieg in das Thema für behandelnde Ärzte und medizinisches Personal. Hier findet man das gesammelte Basiswissen zu ME/CFS -auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft und Medizin: Woran erkenne ich, dass ich ME/CFS habe? Was ist dabei zu beachten? Wie kann man mit der Krankheit leben und wie mit Behörden und Leistungsträgern umgehen? Vielleicht die wichtigste Frage: was bedeutet diese Diagnose überhaupt? Und was hat es mit Long Covid zu tun? Betroffene kommen zu Wort, wichtige Fachbegriffe werden erklärt und es wird aufgezeigt, wo es seriöse, vertiefende Informationen gibt. Dieses Buch gibt einen fundierten Einblick in das Krankheitsbild ME/CFS, so der 2. Vorsitzende der Patientenorganisation Fatigatio e.V., Rüdiger Stumpp: Gestützt auf aktuelle wissenschaftliche Entwicklungen kombiniert es medizinische Fakten und hilfreiche Empfehlungen in sozialen Fragen.

Autorenportrait

Nils Winkler, Jahrgang 1974, ist eine «Kieler Sprotte» und ausgebildeter Redakteur mit jahrzehntelanger Erfahrung sowohl als Journalist (u.a. für Radio NORA, den Norddeutschen Rundfunk und die ddp Nachrichtenagentur) als auch im Management im Bereich digitaler Medien und Zahlungssysteme (bei ADTECH, Yapital, Hi-Media oder FirstData). Er leidet seit dem Frühjahr 2020 selbst an ME/CFS, vermutlich als Folge einer Covid-19-Erkrankung. Gitta Meier, Jahrgang 1974, stammt aus Bremerhaven und ist in Kiel aufgewachsen. Nach ihrer Ausbildung zur examinierten Gesundheits- und Krankenpflegerin arbeitete sie an Kliniken in Schleswig und Munchen. Es folgte ein Studium der Humanmedizin am Universitatskrankenhaus Eppendorf (UKE) in Hamburg, wo sie 2011 ihr Staatsexamen ablegte. Sie lebt in Berlin und arbeitet als Ärztin in der ambulanten Versorgung in den Fachbereichen Innere Medizin und Allgemeinmedizin.

Leseprobe

Wenn Sie dieses Buch in Händen halten, sind Sie vielleicht selbst betroffen und an ME/CFS erkrankt oder Sie haben den Verdacht. Vielleicht kommt es auch unter dem Namen Chronisches Fatigue Syndrom, Chronisches Erschöpfungs-Syndrom oder Chronisches Müdigkeits-Syndrom daher - Begriffe, die wir in diesem Buch vermeiden, da sie irreführend sind. ME steht für Myalgische Enzephalomyelitis. Wir verwenden in der Folge die Bezeichnung ME/CFS, die sich international durchgesetzt hat. Möglicherweise sind Sie Angehörige oder Angehöriger von Betroffenen. Oder Sie sind im Zusammenhang mit Post Covid auf das Thema aufmerksam geworden. Auch wenn viele Menschen im medizinischen Betrieb ME/CFS nicht kennen, ist es keineswegs - anders als oft behauptet - eine Modeerkrankung oder Verlegenheitsdiagnose, sondern wurde bereits 1969 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als neurologische (also somatische / körperliche) Erkrankung anerkannt. Weltweit sind geschätzte 17-20 Millionen Menschen betroffen, allein rund 300.000 davon in Deutschland. Und das zählt die Betroffenen, die durch eine Covid-19-Infektion ME/CFS entwickelt haben, nicht mit. Dabei ist recht klar, dass Post Covid in sehr vielen Fällen deckungsgleich ist mit ME/CFS. Die Symptome sind gleich. Die Betroffenen leiden genauso. Der Auslöser ist logisch nachvollziehbar die Virusinfektion - wie in den meisten Fällen von ME/CFS Viruserkrankungen am Anfang der Leidensgeschichte stehen. Auch ist längst bekannt, dass Corona-Viren ME/CFS auslösen können. In der SARS-Pandemie in den Jahren 2002 und 2003 entwickelten rund 27,1% der Erkrankten das sogenannte Chronic Post SARS Syndrom - dem Chronischen Fatigue Syndrom ME/CFS, wie man heute weiß. Das ist gesichertes Wissen, belegt durch eine Studie zu den Folgen der Krankheit in Hong Kong. Das Virus, das damals zum Glück nicht so ansteckend war wie die heutige Variante, hieß SARS-CoV-1 - die aktuelle Pandemie wurde ausgelöst durch das Virus SARS-CoV-19. Der Gesundheitsminister Karl Lauterbach schrieb schon am 28. Mai 2020 auf Twitter: Auch bei SARS 2002-2003 haben viele Jüngere später langfristige Schäden wie Chronic Fatigue Syndrome oder Depressionen entwickelt. Heute ist klar, dass er damit recht hatte. Die Erkrankung macht es weder den Betroffenen noch den Ärzten leicht: Die Symptome sind vielfältig und betreffen den gesamten Organismus - von Muskel- und Gelenkschmerzen über Schlafstörungen, Kreislaufstörungen bis hin zu kognitiven Problemen wie Merkschwierigkeiten, Wahrnehmungsstörungen oder Überempfindlichkeit auf Sinnesreize. Diese Symptome können aber auch von vielen anderen Krankheiten herrühren. Allerdings ist das Kardinalsymptom einer nicht linderbaren, körperlichen und mentalen Erschöpfung typisch für ME/CFS. Es gibt keinen sogenannten Biomarker für ME/CFS, mit dem sich die Krankheit eindeutig belegen lässt. Es müssen für die Diagnose alle anderen möglichen Ursachen ausgeschlossen werden. Ein Aufwand, den viele Ärzte scheuen - auch, weil ME/CFS in der Ausbildung für angehende Ärzte keine Rolle spielt, viele Ärzte das Krankheitsbild daher gar nicht kennen und ähnlich ahnungslos wie die Patienten dieser Krankheit gegenüberstehen. Und auch in der Facharztausbildung kommt ME/CFS nicht vor. Mehr als die Hälfte der Betroffenen, geschätzte 60%, sind nicht mehr arbeitsfähig. Ein Viertel kann das Haus kaum noch oder gar nicht mehr verlassen, viele sind bettlägerig und auf Pflege angewiesen. In dieser Situation sind sie oft auf sich allein gestellt. Pflege- und Krankenkassen, Versicherungen und andere Leistungsträger haben ME/CFS nicht in ihrem Katalog. Ein Betroffener, Wilfried, schreibt in einer Selbsthilfegruppe auf Facebook: Ärzte, Gutachter und die Deutsche Rentenversicherung (DRV) haben mich Lebenszeit gekostet. Als jüngstes Beispiel: der Grad der Behinderung (GdB) 50 ist durch mein Gutachten für die Rente durch. Weder im Gutachten noch im Bescheid zum GdB kommt das Wort ME/CFS überhaupt auf, obwohl ich ca. 10-fach erhöhte Autoantikörper habe. Das empfinde ich als Skandal. Wilfried ist kein Einzelfall. Sehr oft führt ME/CFS in existenzielle Krisen, löst finanzielle Nöte und Zukunftsängste aus. Ich bin erkrankt - aber niemand will mir helfen. Das ist ein Gefühl, das die meisten an ME/CFS Erkrankten leider sehr gut kennen. Oft wenden sich die Menschen im privaten Umfeld von den Betroffenen ab, weil sie die Krankheit nicht verstehen. Man sieht als Betroffener einigermaßen gesund aus. Da hört man Sätze von Betroffenen wie diesen: Bei mir kann keiner etwas mit ME/CFS anfangen und Interesse ist auch nicht vorhanden, schreibt Patrick. Dann kommen so tolle Sprüche wie geh arbeiten und es wird Dir besser gehen. Oder such Dir eine Freundin, das wird Dir helfen. Es sei nur psychisch. Würde man Personen mit einer anderen Krankheit solche Dinge sagen? Sein Fazit: Es ist doch der totale Scheiß, dauerhaft dem Unrecht ausgeliefert zu sein. Egal, ob es nun Post Covid genannt wird oder ME/CFS - es ist für Betroffene, die teilweise seit Jahrzehnten mit der Erkrankung alleingelassen werden, wie für Mediziner eine echte Herausforderung. Und obwohl es nicht so sein sollte, ist es für die meisten Mediziner Neuland. Mit diesem Buch wollen wir etwas Licht ins Dunkel bringen und Betroffenen, Angehörigen aber auch Ärzten, die sich erstmals mit dem Thema konfrontiert sehen, erste Anhaltspunkte geben. Das Ziel ist die Unterstützung, möglichst schnell zu einer gesicherten Diagnose zu gelangen und die notwendige Hilfe durch beispielsweise Sozialversicherungsträger zu bekommen. Dieses Buch ist kein medizinisches Fachbuch. Vielmehr haben wir zahllose seriöse Quellen ausgewertet und Informationen zusammengetragen, die den Stand der Wissenschaft zu der Erkrankung widerspiegeln. Dabei haben wir uns streng an biomedizinischen Fakten und dem Stand der Wissenschaft orientiert, auch in Abgrenzung zu vielen teils pseudomedizinischen und esoterischen Heilversprechen, die im Internet kursieren. Auf anekdotisches Wissen wurde bewusst verzichtet. Wir wissen, wie schwer es sehr viele Betroffene haben, einen Arzt zu finden, der sich ihnen unvoreingenommen annimmt. Dennoch ersetzt dieses Buch nicht das vertrauensvolle Gespräch mit dem Hausarzt und weiteren behandelnden Ärzten, denn die Beschwerden und Symptome sind vielfältig und müssen individuell abgeklärt werden. Auch ersetzt das Buch keine Rechtsberatung, auch hier ist eine individuelle Betrachtung und Klärung mit Fachleuten unerlässlich. Aber was es leistet ist Denkanstöße und Hinweise zu geben, damit diese Gespräche möglichst erfolgreich verlaufen und möglichst wenig kostbare Energie erfordern. Dabei wissen wir auch - und das ist auch so gewollt -, dass wir nicht zu sehr in die Tiefe gehen können, damit die Informationen verständlich und nachvollziehbar bleiben. Wir wissen, dass es eine Unmenge von Versuchen gibt, die Beschwerden zu lindern - nicht auf alle können wir hier eingehen, zumal viele sehr individuell zu bewerten sind. Ebenso ist uns bewusst, dass manche zwischen ME und CFS unterscheiden. Aber das führt zu sehr in die Tiefe und würde im Rahmen dieses Buches nur verwirren. Wir bitten an dieser Stelle also um Nachsicht und hoffen, dass unsere Arbeit möglichst vielen Betroffenen hilft, Angehörigen und Freunden beim Verstehen dieser Erkrankung hilft und Anreiz für Mediziner ist, sich ernsthaft mit ME/CFS auseinanderzusetzen. Der Wiener Neurologe und ME/CFS-Experte Michael Stingl sagte der Neuen Zürcher Zeitung sehr treffend: Wenn ein Patient mit ME/CFS oder Post Covid zum Arzt geht, wird er in den allermeisten Fällen sehr viel mehr über seine Erkrankung wissen als der Arzt. Es ist vielleicht ein Paradigmenwechsel in der Medizin, dass wir nun gemeinsam mit ihnen die Forschungsfragen definieren.

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