0

Der verhinderte Schauspieler

Roman

Erschienen am 04.03.2006
24,90 €
(inkl. MwSt.)

Lieferbar innerhalb 1 - 2 Wochen

In den Warenkorb
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783312003716
Sprache: Deutsch
Umfang: 320 S.
Format (T/L/B): 3 x 21 x 13.2 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Nach dem Ende des 1. Weltkriegs zieht der junge Schweizer Schauspieler Raben Drahtzaun nach Deutschland, um sein Glück zu suchen. Sein erstes Engagement ist ein grandioser Reinfall: sein schweizerisches Deutsch sorgt für unfreiwillige Komik und wird zum Makel seines Lebens. Ihn loszuwerden wird zu seinem einzigen Ziel, mit zunehmend grotesken Folgen. In seiner Reihe Kollektion Nagel & Kimche gibt Peter von Matt diesen erheiternden und scharfsinnigen Roman neu heraus.

Autorenportrait

Arnold Kübler, 1890-1983, arbeitete 1919-26 als Schauspieler und Dramatiker in Berlin. Ein früher Erfolg war seine Komödie Schuster Aiolos, die später von Leonhard Steckel auch in Zürich inszeniert wurde. Ab 1931 war Kübler Chefredaktor der Zürcher Illustrierten und Mentor der neuen Schweizer Fotografie, 1941 Mitbegründer der Zeitschrift du und deren Leiter bis 1957. Er schrieb u.a. die Öppi-Romane, Paris-Bâle à pied (1967) sowie Israel, ein Augenschein (1970). 1963 erhielt Arnold Kübler den Literaturpreis der Stadt Zürich.

Leseprobe

Die große Rolle Vier Anfänger hatte der Direktor der städtischen Bühnen in Zürich zu Anfang der Spielzeit verpflichtet, drei davon behielt er am Schluß, den vierten ließ er fallen. Das war Raben Drahtzaun. Was sollte er tun? Wohin sich wenden? Fort aus Helvetien ziehen? Auf was sich berufen? Was hatte er gespielt? Wo sich ausgezeichnet? Als Esel im Weihnachtsmärchen vielleicht, aber auch nur darum, weil er den Kopf zwischen die Beine nehmen und auf den Vorderbeinen stehen konnte. Was konnte er sonst? Was versprach er? Wenig genug anscheinend, da man keinen Wert darauf legte, die Versuche mit ihm fortzusetzen. 'Bestechen Sie einen Bühnenvermittler', sagte der magere Bühnenwart. Drahtzaun folgte dem Rat. Der Erfolg war verblüffend. Das Örlewitzer Stadttheater verpflichtete ihn durch Drahtbescheid und ungesehen als ersten Männerspieler für den kommenden Winter. Das vereinbarte Gehalt war allerdings so, daß ein Kaufmann Drahtzauns Auftreten als schmutzigen Wettkampf bezeichnet hätte. Aus den Einkünften des vorausgesehenen halben Jahres konnte nicht einmal der bestochene Vermittler bezahlt werden. Zugleich mit der Vertragsbestätigung kam die erste Rolle: Herzog Alba im Egmont von Goethe. Ein Herzog! Bis jetzt, wie gesagt, war er nur als Esel hervorgetreten. Im Märchen vom gestiefelten Kater und hatte I-a gebrüllt. Aber jetzt sollte er reden. Sätze! Der Sommer verging schnell. Drahtzaun war unruhig. Mitten in den Ferien noch packte er seinen Koffer und machte sich auf nach Örlewitz. Es war die Zeit nach dem Großen Krieg. Noch wuchs kein Gräslein auf den Feldern, darüber er weggezogen. Noch versuchten rings um Helvetien in allen Krankenhäusern die Ärzte mit seiner Hinterlassenschaft fertig zu werden, noch klangen den Menschen die Drahtnachrichten der Heeresleiter im Ohr und der Ton der Kriegsberichterstatter, die sie jahrelang vernommen. Aber jenseits des Bodensees hingen die Äpfel an den Bäumen wie daheim, daß Drahtzaun sich wunderte, und als er nachts durch Bayern und Franken fuhr und der Vollmond auf den Feldern lag und auf die Dächer schien, darunter die Menschen schliefen, die im Kriege gewesen, während er den Esel im Weihnachtsmärchen gespielt hatte, da schämte sich Drahtzaun jetzt, dahinein zu dringen, wo er bisher nicht gewesen, und es war ihm, als dürfe er nur ganz bescheiden auftreten und sozusagen auf den Zehenspitzen das fremde Land betreten. - In Dresden nahm er ein Bad und wusch sich mit Kriegsseife, die kein Fett, aber viel Lehm enthielt und die ihm ein Fräulein lächelnd durch den Schalter gereicht hatte. Am andern Tag setzte er die Reise nach Örlewitz fort. - Das Land lag eben, weite Stoppelfelder zogen an den Fenstern vorbei; die Wälder sahen anders aus als jene, drin Drahtzaun Erdbeeren gesucht hatte, und in den Zeitungen standen lauter fremde Dinge. In Örlewitz stand auf dem Bahnhofplatz ein Festbogen mit Tannenreisig umwunden und mit der Aufschrift 'Willkommen' geschmückt. Der galt aber nicht ihm, sondern den heimkehrenden Kriegsgefangenen. Im Hotel ließ er sich sofort einen Lindenblütentee geben. Den goß er glühendheiß durch seine Kehle, nicht wegen des Durstes, sondern wegen der Stimme. Die lange Reise war ihm nicht gut bekommen, das hatte er gleich gemerkt, vorhin, als er das Zimmer bestellte! Ganz dünn und schwächlich war sie zum Vorschein gekommen. Ja, da lag's, die Stimme, die Stimme! Die war und blieb heiser. Monatelang schon! Heiser und unansehnlich, anstatt ehern und überzeugend. - Da unten gingen sie vor seinem Fenster, die Leute von Örlewitz, die nächstens im Theater sitzen würden, um den neuen Männerspieler zu sehen. Da schlenkerten sie die Hände, die später zum Beifallklatschen verwendet werden sollten, und er saß hinter den Gardinen und trank Tee gegen die Heiserkeit. Mut! Nur Mut. Aber eben, es war ja eine Bestechung, die ihm den Platz des Männerspielers in Örlewitz eingebracht hatte. Ob die Leute da wohl bald hinter seine Heiserkeit kämen? In Helvetien hatte niemand viel davon gemerkt, da w Leseprobe