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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783312003501
Sprache: Deutsch
Umfang: 302 S.
Format (T/L/B): 2.8 x 21 x 13 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Die Bewohner eines Dorfs im schweizerischen Emmental dulden tatenlos einen Totschlag, den ein paar Jungen verüben. In einem atemraubend spannenden Roman verfolgt Lukas Hartmann die Dynamik eines Verbrechens, zu dem sich die Menschen in einer Gruppe gegenseitig aufstacheln, und vermittelt realitätsnah die Logik einer Selbstjustiz.

Autorenportrait

Lukas Hartmann wurde 1944 in Bern geboren. Nach seiner Ausbildung zum Primar- und Sekundarlehrer studierte er Germanistik und Psychologie. Er arbeitete als Jugendberater, Redakteur bei Radio DRS, Lehrer für Journalismus und Leiter von Schreibwerkstätten. Reisen durch Indien, Südamerika, Afrika. Aufenthalt im Instituto svizzero in Rom. Heute lebt er als freier Schriftsteller in Spiegel bei Bern und schreibt hauptsächlich Romane und Geschichten für Erwachsene und Kinder. Sein Werk wurde bisher in zehn Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Schweizer Jugendbuchpreis, dem Preis der Schweizerischen Schillerstiftung und dem Literaturpreis der Stadt Bern.  

Leseprobe

Vor vielen Jahren, als ich noch ein halbes Kind war, haben wir zu dritt einen Menschen in den Tod getrieben. Das hat mein Leben überschattet, ohne dass ich es wusste; geahnt habe ich es freilich schon lange. Erst im vergangenen November wurde mir klar, was damals, 1967, wirklich geschah. Die volle Wahrheit lässt sich nicht ergründen; wir setzen unsere Erinnerungen ohnehin aus Bruchstücken zusammen. Aber was ich inzwischen herausgefunden habe, verändert den Blick auf mich und meine damaligen Freunde in verstörender Weise. Das Dorf, aus dem ich stamme, liegt im Hügelgebiet, am Rande des Emmentals, dort, wo die schrundige Landschaft allmählich sanfter wird. Der Dorfkern besteht aus wenigen Häusern, die sich auf einem Plateau zusammendrängen. An der Straßengabelung stehen die beiden größten Gebäude einander schräg gegenüber: das Schulhaus mit dem Türmchen und die Wirtschaft mit dem Ochsen auf dem Schild. Folgt man der Straße nach rechts bis zur Kurve, steht man vor dem kleinen, von einer Thujahecke eingefassten Friedhof, der beinahe ans Schulhaus grenzt; folgt man der Straße nach links, gelangt man zur Poststelle, danach zum Lebensmittelladen und zur Käserei, die zwischen Häusern mit Riegelfronten steht. Es war so, als ich ein Kind war, es ist noch heute so. Das jüngste Gebäude, jenseits des Friedhofs und zwei Steinwürfe vom Schulhaus entfernt, ist die kleine Villa am Eingang des Dorfs. Sie wurde ein paar Jahre vor meiner Geburt erbaut und galt als protzig. Ein Arzt aus dem nahe gelegenen Landstädtchen hatte geplant, darin den Ruhestand zu verbringen. Er starb kurz nach dem Einzug, und von da an wohnte in der Villa allein seine Witwe, Frau Stucki, eine gebürtige Deutsche. Mein Vater, ein hochgewachsener und strenger Mann, unterrichtete während beinahe vier Jahrzehnten die siebte bis neunte Klasse von Tannwiler. Als lediger Junglehrer hatte er zuerst ein Zimmer im Dorf gemietet und war dann, nach der Heirat mit der Tochter eines Sägereibesitzers, ins Häuschen unterhalb des Schulhauses gezogen. Dort wurde ich geboren, dort wuchs ich auf, dort lernte ich Geige spielen. Das Geigenspiel wurde später zu meinem Beruf. Oft habe ich mein Schicksal verwünscht, Lehrersohn zu sein. Von Lehrerkindern erwartet man, dass sie gute und angepasste Schüler sind; genau dafür werden sie dann verachtet und verspottet. Wenn sie aber aufmucken, heißt es gleich, ein Lehrerkind solle dem eigenen Vater keine Schande machen. Ich gehörte lange zur ersten Sorte, zu den Stillen und Unauffälligen, und hatte darunter zu leiden, dass ich mich an einfältigen Streichen nicht beteiligen mochte. Das änderte sich erst, als ich mich am Ende der vierten Klasse mit Christian, dem Sohn des Posthalters, verbündete. Er war ein Einzelgänger wie ich, aber zarter in der Konstitution, schweigsam und empfindlich. Er las viel, interessierte sich für Geschichte, für Ausgrabungen und Monumente, während ich damals Musik und Malerei entdeckte und stundenlang in den Kunstbänden meines Vaters schmökerte. Wir hatten beide, in den Augen unserer bäuerlichen Klassenkameraden, absonderliche Interessen. Christian war erst im Lauf der vierten Klasse nach Tannwiler gekommen. Ich hatte ihn an seinem Fensterplatz wochenlang beobachtet, bevor ich ihn anzusprechen wagte. Ich war fasziniert von seinem Profil, das einem bestimmten Kinderbild aus einem der Kunstbände glich; ich konnte nicht wegsehen, wenn am späten Morgen die Sonne den Flaum in seinem Nacken schimmern ließ. Es war derselbe Flaum, den ich später auch an Christians Schwester Barbara entdeckte, als ich zum ersten Mal ihre seidenen Haare aus dem Nacken hob und die Haut darunter berührte; der Flaum reichte, kaum erkennbar, den Rücken hinunter und lief in einer zarten Spitze aus. Aber das war viel später. In der ersten Zeit nahm ich Barbara kaum wahr; sie war zwei Jahre jünger als Christian, ein richtiges Kind noch, das nach Kernseife roch und mir so fremd war wie meine eigene Schwester, die im Heim lebte und uns nur alle paar Monate Leseprobe

Schlagzeile

Sich selbst hält man fast immer für unschuldig